DIE PIGS
Von 2000-2015
Nach knapp vier Jahren Veröffentlichungspause und der Namensänderung von THE PIG MUST DIE in DIE PIGS erschien 2003 mit dem 7-Song-starken Mini-Album EIN STÜCK ZEIT das erste Lebenzeichen der Schweine im neuen Jahrtausend, dazu auch noch auf dem bandeigenen Label SUPERNOVA VINYL.
Die musikalische Richtungsänderung, die sich schon unter TPMD auf SGT.PEP's LONELY HARD CORE BAND angedeutet hat, wird hier fortgesetzt. Ein Jahr später kommt dann das erste Album einer Trilogie mit englischem Titeln auf den Markt: PUNKADELIC CIRCUS. 2006 erscheint in Zusammenarbeit mit dem Essener Independent- und Underground-Label Sunny Bastards das zweite Album der PIGS mit dem Titel ABBEY ROCK und 2013 folgt der Abschluss mit HALLUCINOGENIC PARK.
2009 veröffentlichte das größte Punklabel in Europa, Nix-Gut Records, eine Best-of- und Raritäten-Collection der Pigs unter dem Titel PUNK CHRONIKEN 1990–1999, auf der die Band alte PIG MUST DIE-Klassiker & Hits überarbeitet und neu eingespielt hat.
2015 dann die Wende: Fast in Urbesetzung findet sich nochmal THE PIG MUST DIE zusammen und beginnt an einem neuen Album zu arbeiten, dessen Titel nicht passender sein könnte: AUF DER SUCHE NACH DER VERLOREN ZEIT...
2000-2003: SUPERNOVA VINYL & EIN STÜCK ZEIT
2004: PUNKADELIC CIRCUS
Interview mit Robbe, der in dieser Zeit als neuer Gitarrist bei den PIGS einstieg und fortan jedes Wochenende mit dem Zug von Hamburg an den Niederrhein reiste...
Robbe, wie bist du eigentlich zur Band gekommen?
Robbe: Da saß ich wohl zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Wohnzimmer! Das war so: Vor knapp zwei Jahren ist Oli immer mal wieder bei einem gemeinsamen Freund in Hamburg abgestiegen, da war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass wir uns über Weg laufen würden. An diesem Wochenende hab ich jenem gemeinsamen Freund ein bisschen bei der Organisation eines kleinen Festivals geholfen, auf dem meine letzte Combo, DIE PIGS und ein paar andere Bands spielen sollten. Irgendwann stieß Oli dazu und wir kamen ins quatschen. Ein paar Pils später stellte sich raus, dass die Schweine auf der Suche nach einem Aushilfsgitarrrero waren, was mich gleich aufhorchen ließ, da ich vorhatte, mich von meiner letzten Band zu trennen.
Wir haben uns dann Ende Juli 2003 auf diesem kleinen Festival wieder getroffen und uns gegenseitig beim zocken unter die Lupe genommen. Bis dahin stand eigentlich nur fest, dass wir uns musikalisch einiges zu bieten hatten, aber ob die Geschichte auch vom Typ her passen würde war überhaupt noch nicht abzusehen. Im Spätsommer 2003 wurde ich von den Pigs nach Fresenhagen ins Rio-Reiser-Haus eingeladen, wo sie sich auf den Punkadelic Circus vorbereiten wollten. Und nachdem wir viel geprobt und gefeiert hatten, war es eine abgemachte Sache, dass ich von nun an zur Probe an den Niederrhein fahren würde!
Wir empfandest du die die Aufnahmen zum Circus?
Robbe: Ja, das war schon komisch. Ich bin zu der ersten Session gefahren, bei der die Pilotspuren aufgenommen werden sollten. Hatte meine Gitarre natürlich dabei, aber keinen Verstärker. Der Studiochef hat mir dann so einen Miniamp von Marshall hingestellt: Eine richtig kleine Tröte mit ca. 5 Watt von der Größe eines Schuhkartons! Das war dann aber egal, weils mir nur ums Spielen ging und ich Bock hatte zu sehen, wie denn die Pigs im Studio sind. Klar wäre es cool gewesen, auch mal ne richtige Gitarrenspur einzuspielen! Aber ich denke, dass es der Band gut getan hat auch mal eine unbelastete Figur im Studio zu haben, die kräftig Senf dazugeben konnte. Und obwohl ich mit keiner Note auf dem Album zu hören bin, hab ich beim Circus immer das Gefühl, dass da ne ganze Menge Blut, Schweiß und Tränen von mir mit drin stecken!
Welche Erwartungen hast du an die neue Platte?
Robbe: Das Neue Album wird grandios! Nachdem wir die ersten Ideen umgesetzt hatten, bin ich mit den Songs im Kopf eingeschlafen und hab die Melodien in meine Träume eingebaut! Also wenn das kein gutes Zeichen ist, dann weiß ich auch nicht!
2005-2006: ABBEY ROCK
Info 2006 zur Veröffentlichung des zweiten PIGS-Albums ABBEY ROCK
DIE PIGS – ABBEY ROCK
Die einstigen Punk-Rock-Schweine vom Niederrhein melden sich in diesen Tagen zurück und präsentieren mit ihrem neuen Longplayer ABBEY ROCK ein ebenso großartiges wie nachdenkliches Rock’n’Roll-Album, gebaut aus himmlischen Melodien und Songs, die uns von verloren geglaubten Träumen, einem gewissen Mr. Chance und der Suche nach Gott erzählen.
Vor knapp einem Jahr legten DIE PIGS (früher THE PIG MUST DIE – Name musste aus rechtlichen Gründen geändert werden!) mit Punkadelic Circus ein „Second-Coming“-Album vor, das niemand von ihnen erwartet hatte. Anstatt PUNK wurde plötzlich ROCK bei den Jungs ganz großgeschrieben, und die musikalischen Einflüsse reichten von Turbonegro und Oasis bis hin zu den Beatles und The Who – kein Song klang wie der andere, alles war neu! Beim Alten geblieben war allerdings das Gespür der Band für große Melodien und Hits, die sie bereits zu ihren Punk-Rock-Zeiten wie am Fließband abgeliefert hatten.
So wunderte es keinen mehr, dass der Song Wo die Engel spielen (nunmehr seit mehreren Monaten) Platz 1 der Tunespoon-Musikcharts im Internet belegte und der Clip zum Hit auf der DVD-Special-Edition des Kultfilms VERLIERER (mit Ralf Richter, Campino und Mario Irrek) seinen Platz fand.
Nun liegt mit ABBEY ROCK das nächste Album der PIGS vor, das keine zehn Monate nach dem Rock’n’Roll-Circus fertiggestellt wurde und – man höre und staune – klingt, als würde sich die Band ein weiteres Mal neu aufstellen und, losgelöst von jeglichem Schubladendenken, einfach das tun, was sie am besten können: Songs schreiben, die ihrem Publikum etwas zu sagen haben! Musikalisch fangen die PIGS ihre Zuhörer zunächst einmal mit vertrauten Melodien (dass man Göttern wie Mando Diao, The Coral, The Libertines oder TSOOL beim Songwriting mehr als einmal und gründlich auf die Finger geschaut hat, schadet den Songs wahrlich nicht!), und textlich wird alles, was einem je wichtig war, noch einmal gehörig auf den Prüfstand gestellt: Was ist aus deinen Träumen geworden, die die Welt aus den Angeln heben wollten und im Ausverkauf gelandet sind? Woran glaubt man noch nach 15 Jahren Berg- und Talfahrt im Musikbusiness? Frag die PIGS, die scheinbar auch heute noch auf alles eine positive Antwort finden und nicht müde geworden sind, einen Lebenstraum zu verfolgen. „Spürst du die Liebe, wie ich sie empfinde, noch immer für das, was wir tun? Meine Kraft ist längst nicht am Ende, und das, was ich fühl’, ist der Anfang der Wende!“ heißt es in dem Song Zusammen, und die positive Grundhaltung zieht sich wie ein roter Faden durch alle 13 Stücke plus Hidden Track!
Auch wenn die Frage unbeantwortet bleibt, wer um Himmels willen Mr. Chance ist, so bekommen wir doch in dem Song Wie fühlt es sich an? eine ziemlich präzise Angabe der PIGS, wo Gott wohnt und wie weit der Weg zu ihm ist. Wer kann schon von sich behaupten, auf solch elementar wichtige Fragen tatsächlich eine Antwort zu haben?
Wer allerdings dieser Gott und Regenmacher ist, wird wohl auch für die Schweine ein unergründliches Mysterium bleiben, das noch die ein oder andere Nacht Kopfzerbrechen bereiten wird. Wie gut, dass sich darüber prima Songs schreiben lässt …
DIE PIGS – ABBEY ROCK
(Supernova Vinyl / Sunny Bastards)
im Vertrieb von Broken Silence
2007-2009: PUNK CHRONIKEN 1990-1999 & FAMILIY LIFE
Zum 20jährigen Bestehen der Band und dem Erscheinen des Albums PUNK CHRONIKEN 1990-1999 hat Sänger OLI VAN PELT im Jahre 2009 dem TAUGENIX-Fanzine ein ausgiebiges Interview gegeben. Hier findet Ihr Auschnitte daraus:
20 schweinische Jahre!
Taugenix Interview mit Öli van Pelt zu den Punk Chroniken & Punk is Dad
Taugenix: 20 schweinische Jahre! Der Weg bis hierhin war für euch nicht immer eben. Was hat euch letzten Endes immer wieder den Antrieb zum Weiterrocken gegeben?
Öli: Das, was mich oder uns der Begriff Punk Rock in all den Jahren gelehrt hat: Mach das, woran du Spaß hast, zieh dein Ding konsequent durch, versuch, deine Zeit zu nutzen, und mach dir vor allem nichts aus dem Geschwätz anderer Leute! Das war und ist die Essenz unserer Jugendzeit, und der bin ich bis heute treu geblieben, ohne mich dabei jemals wirklich als Punk gefühlt zu haben. Ich wollte einfach meine eigenen Wege gehen und mich überhaupt keiner Gruppierung anschließen!
Die Band hat in all den Jahren immer wieder die Qualitäten eines Stehaufmännchens bewiesen und gerade in den Momenten, in denen wir völlig am Boden waren und für tot erklärt wurden, am meisten Rückgrat gezeigt. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an den Tag, als unsere beiden Gitarristen ihre Koffer packten, um die Band zu verlassen, und wir (Mic, Nico und ich) als Trio zurückblieben: ein Bassmann, ein Drummer und ein Schreihals in einem total verschimmelten Proberaum! In dem Moment roch wirklich alles nach Auflösung, doch ein prüfender Blick in die Augen der Jungs verriet: Hier wird sich kein weiteres Schweinchen mehr verpissen, um das sinkende Schiff zu verlassen. Keine Woche später waren wir wieder zu fünft! Ein Gitarrist war zurückgekehrt, und der andere wurde durch Dicken ersetzt, der auch heute noch die Zuverlässigkeit in Person und unsere Gitarrenwand ist. Das alles war Ende der 90er und mittlerweile auch schon wieder verdammt lange her!
Die Zeiten haben sich und uns natürlich verändert. Die meisten in der Band sind bereits Väter, haben Mitte 30 überschritten und leben heute selbstverständlich in einem völlig anderen Film als noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren. Aber wir beweisen tagtäglich, dass Familienleben nicht automatisch Spießigkeit bedeutet und man seine Träume nicht über Bord schmeißen muss, nur weil man ein gewisses Alter erreicht hat. Meine Tochter und mein Sohn zeigen mir auf jeden Fall täglich, wie Punk Rock funktioniert, und meistens – nicht immer – schau ich ihnen gerührt dabei zu…
Taugenix: Beim Vergleich Kinder und Punkrock ergeht es mir beim Anblick meiner Tochter oftmals ähnlich. Diese kleinen Anarchisten haben’s echt drauf! Habt ihr euch von THE PIG MUST DIE in DIE PIGS umbenannt, weil sich auch euer musikalischer Stil verändert und entwickelt hat, oder was waren die Gründe für den Namenswechsel?
Öli: Wir haben einige idiotische Deals in unserer Anfangszeit unterzeichnet und dafür massiv geblutet. Wir waren gerade neunzehn Jahre, als das alles mit den Schweinchen Fahrt aufgenommen hatte und die ersten Plattenverträge unterzeichnet wurden. Leider sind aus den damaligen Plattenbossen, die zu Beginn gute Freunde und Mitstreiter von uns waren, über Nacht abgezockte Geschäftsleute geworden – oder sie waren es schon immer, und wir haben es damals nur nicht durchblickt. Egal, auf jeden Fall haben wir uns, wie viele andere Bands, über den Tisch ziehen lassen. Als die Urbesetzung von THE PIG MUST DIE nicht mehr bestand, war für uns klar, dass wir jetzt unter einem anderen Namen weitermachen wollten. Der neue Name sollte zwar noch an PIG MUST DIE erinnern, aber keiner alten Plattenfirma oder keinem Musikverlag mehr die Möglichkeit geben, mit ihm Geld zu verdienen. Nach den Anfangssprechchören („Schweine! Schweine! Schweine!“) von Kulturbanausen wollten wir uns erst ganz schlicht DIE SCHWEINE nennen, doch dann gab es gerichtlichen Stress mit einer abgehalfterten Pussyband, die zwar längst nicht mehr existierte, aber sich den Namen hatte schützen lassen. Dann kamen wir auf DIE PIGS, das sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch funktionierte: „Sterbt, Schweine!“ war wieder ganz nah an „Das Schwein muss sterben“ angelehnt.
Taugenix: Werfen wir mal einen nostalgischen Blick in die wilden Jahre, also in eure Anfangszeit zurück. Die ersten Proben fanden im Gartenhäuschen deiner Eltern statt, sehr zum Leidwesen der Nachbarn, die euch regelmäßig die Bullen vor die Hütte geschickt haben. Waren deine Eltern einfach tolerant, oder konnten sie eure Nachbarn nicht leiden? Ich mein, die haben diese Umstände ja quasi über Jahre hinweg geduldet.
Öli: Jahre waren es nicht, da wir irgendwann zu groß für die Gartenlaube wurden und uns durch andere Proberäume gespielt haben, aber die Zeit war lang genug, um einen nachhaltigen Eindruck bei den Nachbarn zu hinterlassen. Ich bin vor drei Jahren wieder in mein Heimatdörfchen zurückgezogen, und da ging tatsächlich die große Angst um, dass der Punk-Rock jetzt seinen triumphalen Siegeszug am Niederrhein fortsetzen würde! Die Angst war wirklich echt! Unter den Nachbarn wurde getuschelt: „Um Gottes willen, jetzt kommt dieser Typ und der furchtbare Lärm wieder zu uns zurück!“
Mir ist es ehrlich gesagt bis heute noch ein Rätsel, wie wir überhaupt mit fünf Mann in diese Gartenlaube gepasst haben. Das sind keine zehn Quadratmeter! Irgendwie müssen wir beim Überqueren der Türschwelle auf Hobbitgröße zusammengeschrumpft worden sein – anders ist das wirklich nicht zu erklären!
Übrigens wollten wir uns früher erst THE NEIGHBOURS OF BATMAN nennen, da einer meiner besten Kumpel gleich nebenan wohnte und den Spitznamen Batman trug.
Taugenix: Ein nicht gerade uninteressanter Name, den sich wahrscheinlich spätestens nach Abdruck dieses Interviews irgendeine namenlose Nachwuchsband unter den Nagel reißen wird. Zurück in die 90er. In Windeseile habt ihr ja dann ans Tor zur ersten Punkrockliga geklopft. Schon mit dem ersten Album wurden Vergleiche zu den TOTEN HOSEN gezogen, und zudem hattet ihr mit Dr. Faust auch noch die gute Seele der HOSEN als Produzenten. Heute scheinen euch die damaligen Vergleiche mit den Düsseldorfern eher zu nerven, oder irre ich mich da?
Öli: Die Vergleiche mit den Hosen und Ärzten haben uns im Teenageralter geehrt, waren aber eigentlich immer schon einfallslos, typisch deutsch und haben gerade deswegen später nur noch genervt! Was waren die Hosen denn zu ihren besten Zeiten? Die einzige deutsche Band, die nicht nach Deutschpunk klang, sondern es verstand, ihre britischen Idole geschickt zu kopieren. Die haben zum Teil ganze Songs der Adicts und Undertones übernommen und nur noch mit deutschen Texten versehen! Und das klang einfach geil und hat den Unterschied ausgemacht. Ich habe in der Zeit, als wir mit den Schweinchen anfingen, fast ausschließlich Bands wie Cockney Rejects, Clash, Buzzcocks, Stiff Little Fingers, Ramones und eben besagte Adicts und Undertones gehört – und daher klangen die PIG MUST DIE-Einflüsse auch automatisch nach diesen Bands und im weitesten Sinne dann natürlich auch nach den TOTEN HOSEN. Der deutsche Tellerrand reichte aber nicht bis England, und so fand man bei uns halt immer nur die Parallelen zu den Hosen.
Taugenix: Die aber sicherlich auch hilfreich waren und euch in einem bestimmten Maße gepusht haben, oder?
Öli: Gepusht und geschadet hält sich da sicherlich die Waage. Du musst bedenken: Die Hosen hatten gerade mit Kauf mich! ihr kommerziell erfolgreichstes Album abgeliefert, als die Presse und die Fans auf uns aufmerksam wurden, und waren in der deutschen Punkszene längst selbst zum Feindbild geworden. Während Campino und Co. durch sämtliche deutschen Talkshows gereicht wurden und nichts mehr mit der Basis zu schaffen hatten, standen wir in kleinen Clubs auf der Bühne und wurden als Kommerzschweine angefeindet, die auf dem Sprung sind, DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN zu beerben. Verstehst du? Der Stellenwert der Hosen innerhalb der Szene war damals unter aller Sau, und da war es als Band mit einem ähnlichen Sound nicht unbedingt ein Segen, als „die nächsten TOTEN HOSEN“ angepriesen zu werden.
Taugenix: Ihr habt den Rock’n’Roll ja nicht nur erlebt, sondern auch mit all seinen Klischees gelebt. Ein Burnout-Syndrom samt Angstpsychose setzte dich und somit auch die Band einige Zeit außer Gefecht. Konntest du alle Psychosen und Depressionen hinter dir lassen?
Öli: Wenn ich die Frage mit Ja beantworten würde, wäre aus mir ja ein „völlig normaler“, selbstzufriedener Mensch geworden. Wer kann oder will das schon von sich behaupten? Sagen wir es mal so: Das, was mich damals aus der Bahn geworfen hat, ist längst gegessen und heute kein Thema mehr. Aber ich bin kein abgestumpfter Mensch und leide nach wie vor unter bestimmten Zuständen, die in diesem Land und unserer Gesellschaft herrschen und die mich auch heute noch extrem runterziehen können. Es gibt hin und wieder Momente, in denen sich die alten Dämonen melden, aber das ist wohl das Los, das man zieht, wenn man versucht, sich dem Wahnsinn, der draußen herrscht, entgegenzustellen. Aus der Wut und manchmal auch Verzweiflung, die dadurch entsteht, ist halt irgendwann mal der Begriff Punk Rock kreiert worden und hat meine Sichtweise dem Leben gegenüber auf ewig verändert!
Zum anderen kommt noch hinzu, dass man mal mit dem Gerücht aufräumen sollte, dass Rock’n’Roll ein ewiger Jungbrunnen ist, der nicht zusätzlich die Nerven blank legt. Zwanzig Jahre Punk Rock und der Kampf gegen Windmühlenräder haben definitiv auch sicht- und spürbare Spuren hinterlassen. Mit 37 ist man zwar nicht mehr der Allerjüngste, aber auch nicht so unglaublich alt, wie ich mich an manchen Tagen fühle!
Taugenix: Wem sagst du das? Im Rahmen einer Promotion-Tour habt ihr ja damals mit einem LKW einige Schulhöfe angesteuert und in den Pausen ordentlich von der Ladefläche gelärmt. War diese Art der Promotion-Tour erfolgreich?
Öli: Geld, Gold und ein sorgenfreies Leben haben wir auch dadurch nicht erreicht, aber wir hatten unvergessliche Momente und eine Menge Spaß bei diesem Promo-Abenteuer. Es gab Polizeieinsätze (mit Schlagstöcken wurden Straßen freigeräumt und Fotomaterial einkassiert – unglaublich!), ein Schuldirektor hat versucht, mit einer Latte (aus Holz) unseren Drummer zu attackieren, wir haben vor über 2000 Leuten den größten Biergarten am Niederrhein gerockt und nachts, tief im Wald, vor einem Forsthaus mit großem Lagerfeuer, das Punks angemietet hatten, zur Party aufgespielt! Das war alles ziemlich genial, aber auch die Reinfälle sind heute noch legendär. Ganz kurz: Wir wollten irgendwo im Ruhrpott die Frühstückspause einer Gesamtschule aufmischen. Wir haben in jeder möglichen Pause gespielt und sind in der Zeit von Schule zu Schule getingelt. Das lief jedes Mal so ab: Einer aus der Crew hat gecheckt, wann die Schulglocke läutet, hat ein Zeichen gegeben, und dann sind wir mit dem LKW (auf dessen Ladefläche die Band und das Equipment standen) auf den Pausenhof gedonnert, Plane hoch, Notstromaggregat an, und dann wurde gerockt, bis uns die Bullen oder Direktoren den Saft abgedreht haben.
Ein Kumpel von uns, der meistens morgens um 10 Uhr schon mit seinem besten Kumpel Smirnoff (Wodka) verabredet war, hatte den Auftrag, die Vorhut zu bilden. An jenem Morgen standen wir wieder auf der Ladefläche bereit und warteten auf sein Zeichen, doch unser Kollege wollte einfach nicht zurückkommen. Wir hatten allerdings längst das mit Benzin betriebene Notstromaggregat angeworfen und drohten, uns langsam aber sicher unter der Lastwagenplane mit den Abgasen zu vergiften. Mir kam es vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, als schließlich unser Auskundschafter – natürlich randvoll – zurückgetorkelt kam. Doch das Zeichen zum Entern des Schulhofs blieb nach wie vor aus. Ich rief: „Was ist los, wir gehen hier langsam kaputt!“ Er setzte zum letzten Schluck Wodka an, trank in aller Gemütsruhe aus und lallte dann: „In der Schule ist keine Sau! Die haben heute Wandertag!“
Taugenix: Oh ha! Im Jahre ’97 erschien dann das Mammutwerk: „Die Geschichte von Richie und andere Schicksalsmelodien“. Ein Doppel-Konzeptalbum mit sage und schreibe 28 Songs. Mein erster Gedanke war damals: „Jetzt haben sie es geschafft und werden die Lücke schließen, die zwischen ÄRZTEN/HOSEN und den anderen Punkbands entstanden ist.“ Dem war aber nicht so, denn irgendwann wurde es still um euch. Was war geschehen?
Öli: Ich will kein neues, böses Blut schaffen und werde daher nur so viel erzählen, wie man zum Verständnis braucht. Während der Produktion zum Richie-Album gab es Spannungen mit der damaligen Plattenfirma, die während der Veröffentlichungsphase ihren Höhepunkt erreicht hatten. Beide Seiten konnten und wollten nicht mehr miteinander und haben sich mehr oder weniger „fallen lassen“. Für das Label hatte das weniger Auswirkungen, für uns erhebliche.
Das Richie-Album hatte hervorragende Kritiken in allen großen Musikmagazinen bekommen, wurde aber innerhalb der Deutschpunkszene zunächst äußerst skeptisch gesehen: ein Konzeptalbum über den Aufstieg und Fall eines Punkrockers, fast ohne jegliche politische Aussagen und dann auch noch mit musikalischen Experimenten – das war mal wieder zu viel auf einmal und lieferte so gar nichts szenetypisches. Gut, die zweite CD hatte dann z. B. „Pflasterstein“, „Sie wissen nicht, was sie tun“, „Gegenwehr“ und „Ich bin Ich“, aber alles war auf einmal neu und klang nicht wie die ersten erfolgreichen PIG MUST DIE-Alben. Obwohl sich das Ding super verkauft hat und wir auch außerhalb der Szene bekannt wurden, stand bei uns alles still, da wir nach der Trennung vom Label keine Plattenfirma, keinen Booker und einfach keine Unterstützung mehr hatten. Wir wollten dann nach dem Album die Zukunft alleine organisieren, ohne Indie-Label oder Major-Company, und das hat absolut nicht funktioniert. That’s it!
Dennoch haben wir nicht alles falsch gemacht. Auch heute noch treffe ich unzählige Leute, die im Nachhinein das Richie-Album für das Beste der damaligen Dekade halten und es als Meilenstein in ihr Herz geschlossen haben. Das ist viel wichtiger, als die Lücken zwischen den ÄRZTEN/HOSEN und anderen Punkbands zu schließen. Aber es ehrt uns – und vor allem die Platte –, wenn du damals so empfunden hast und mit dieser Meinung auch sicherlich nicht alleine warst. Aber es sollte nun mal nicht so sein…
Taugenix: Es war definitiv die beste Platte der damaligen Dekade, so viel steht mal fest! An dieser Stelle möchte ich mal einen Satz aus eurer Bandstory zitieren: „Mit Stolz spricht Öli auch heute noch von seinem ‚Baby‘, wenn er an das ‚Richie‘-Album denkt, auch wenn er glaubt, dass das Größte, was die Schweine je produzierten, erst danach folgte.“ Was war denn das Größte, was die Schweinchen deiner Meinung nach produzierten?
Öli: Heute würde ich sagen unsere Kiddies, aber damals war etwas anderes gemeint. Wir wollten nach dem Richie-Album, wie bereits erwähnt, eine Platte in absoluter Eigenregie produzieren und dann schauen, was daraus wird. Wir haben unsere Sparbücher geplündert und uns frohen Mutes ans Werk gemacht. Die neuen Songideen waren genial und klangen wieder mal ganz anders als alles, was wir bisher abgeliefert hatten.
Wir haben uns andere Studios ausgesucht, um vom typischen White-Line-Sound wegzukommen, und haben lange Zeit im Kölner Heartbeat- und Topaz-Studio aufgenommen – allerdings nur, um jede Menge Lehrgeld zu bezahlen. Am Ende wurde doch wieder fast alles zusammen mit Faust (TOTEN HOSEN) und Uwe Golz (heute DAILY TERRORISTEN) in Braunschweig produziert. Wir hatten etliche Gastmusiker im Studio und sogar ein ganzes Streicherensemble aus Düsseldorf eingeladen. Nie waren wir mit mehr Leidenschaft bei einer Sache gewesen und nie haben wir uns mehr verschuldet und verzettelt als in dieser Zeit. Es war eine Renaissance des Glaubens, Punk Rock bedeute in allen Bereichen autonom zu sein, und wir sind in dieser Phase wieder einmal an alle möglichen persönlichen Grenzen gegangen. Die Drogen waren zurück, die Kreativität – und leider auch ein Riesenpaket an Problemen, die uns untereinander beschäftigt haben.
Plötzlich gab es „wichtige Leute“ und Pläne um uns herum, die uns bei den ganz großen Majors unterbringen sollten, und von allen Seiten war ein wirklich großes Interesse an dem Richie-Nachfolger zu spüren. Doch wir kamen aus dem Chaos, steckten im Chaos und hinterließen nur Chaos!
Die Platte trug den Arbeitstitel Sgt. Peps Lonely Hard Core Band, war eine Ansammlung von Hits, die im ersten Drittel klassischer Punk Rock waren und zunehmend verspielter wurden. Nach einer zweiwöchigen Reise nach Norwegen (wir feierten dort mit 16 Mann unser 10-jähriges Bandjubiläum) haben wir Sgt. Pep als Free-Download für die letzten verbliebenen Fans kostenlos auf unsere Homepage gestellt. Die Downloadzahlen waren gigantisch, und die User kamen tatsächlich aus der ganzen Welt (viel Südamerika und Skandinavien – weiß der Geier, wie die den Weg zu den Schweinen gefunden haben!). Trotzdem waren fast zwei Jahre Arbeitszeit für die Band damit völlig umsonst gewesen, und wir drohten ein weiteres Mal am „Misserfolg“ zu zerbrechen (siehe Anfang des Interviews).
Ich liebe dieses Album auch heute noch, und falls ein Label im nächsten Jahr die Lust verspüren sollte, das Teil zum 20-jährigen Jubiläum der Band als PIG MUST DIE-Rarität zu veröffentlichen – wir sind bereit! Das Album liegt seit ziemlich genau zehn Jahren fix und fertig in der Schublade und wartet nur darauf, endlich angemessen veröffentlicht und gehört zu werden!
Taugenix: Habt ihr das gehört, Labelbosse ;-) Was können wir von euch denn in diesem Jahr noch erwarten?
Öli: Wir arbeiten an den angekündigten Projekten (neues Album, die DVD über 20 Jahre Schweine, neue Videoclips), aber werden wohl live 2009 kaum aktiv werden, was sehr bedauerlich ist. Drei von uns stecken wieder ganz frisch in ihren Vaterrollen (gibt es in der Band eigentlich noch andere Hobbys?), und daher haben wir uns in diesem Jahr keine großen Ziele gesteckt und lassen alles auf uns zukommen. Es wird ein paar Festivalgigs und Konzerte in der Heimat geben, die Termine stehen auch schon, aber erst 2010, zum Jubiläum, soll alles wieder am Start sein – und dann würde ich’s gerne noch mal richtig mit den Jungs krachen lassen. Ob daraus noch mal zwanzig Jahre werden, wird sich zeigen!
Taugenix: Na dann, auf dass die Chronik weitergeschrieben werden kann. Besten Dank für diese kleine Gesprächsrunde.
 
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
             
            